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Vortrag in Salzburg
#1
Liebe Forengemeinde,

habe den folgenden Hinweis gerade zufällig entdeckt:

Donnerstag, 15. März 2012 / 19.30 Uhr
Clubraum / Wiener-Philharmoniker-Gasse 2
5020 Salzburg

Vortrag und Gespräch

Tote leben länger
Nordkorea - Einblicke in ein Land das heute vor neuen Herausforderungen steht

Mit Dir. Ing. Marcel Wagner, Hilfsorganisation ADRA Österreich

Marcel Wagner lebte von 2002-2006 als Leiter der Hilfsorganisation ADRA in Nordkorea. Durch enge Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, UN und staatlichen Stellen hat er für einen Ausländer einzigartige Einblicke in verschiedene Bereiche wie Landwirtschaft, Gesundheit, Bildung gewonnen. Wie lebt man in einem Land und arbeitet mit Menschen, die ihren ganz eigenen (Über)Lebensstil entwickelt haben?

Eintritt frei!


wenn also jemand von Euch kurzfristig Zeit hat und die Anreise nicht scheut, hier steht offensichtlich jemand für Fragen und Antworten zur Verfügung, der über einen doch längeren Zeitraum in Nordkorea lebte ...
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#2
Mit welcher Begründung hat ADRA die Arbeit vor Ort eingestellt?
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#3
Die ADRA schreibt dazu:

http://www.adra.de/artikel/adra-unterbri...korea.html
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#4
Ich habe dem Vortrag von Marcel Wagner über sein Leben und seine Tätigkeit in Nordkorea (von 2002 bis 2006) zugehört und möchte seine Worte zusammenfassend hier weitergeben:

Der Vortrag gliederte sich thematisch in drei Teile:

1. die Geschichte, politische und wirtschaftliche Situation Nordkoreas (als er dort lebte)
2. die Tätigkeit der ADRA in Nordkorea
3. die persönlichen Erfahrungen Marcel Wagners in Nordkorea

ad 1.: neben Informationen und Daten zur jungen Geschichte Nordkoreas, besonders auch auf in Bezug zu seinen Nachbarländern versuchte Hr. Wagner auch ein wenig die Juche-Ideologie Nordkoreas zu erklären

ad. 2: die ADRA kam 1998 nicht aus eigenem Antrieb nach Nordkorea, sondern wurde vom damaligen nordkoreanischen Botschafter in der Schweiz angesprochen, ob sie zum Wiederaufbau Nordkoreas beitragen wolle/ könne (worauf die ADRA dann zusagte).
Die ADRA war dann nicht als einzige europäische NGO in Nordkorea tätig, sondern gleichzeitig mit mehreren anderen. Nordkorea hatte zunächst jeder europäischen NGO eine Provinz zur Entwicklungshilfe zugteilt, dies wurde dann aber auf Einspruch der EU abgeändert, mit der Begründung, dass sich die europäischen NGOs sich in ihrer Fachexpertise unterscheiden und deren spezielle Hilfe nicht auf eine nordkoreanische Provinz beschränkt bleiben sollte.
Die ADRA war in Nordkorea im Bereich des Gesundheitwesen, der Energiewirtschaft und der Landwirtschaft tätig.

Beispiel Gesundheitwesen: Das Krankenhaus in Ryongchon, welches bei der Explosion am Bahnhof in Ryongchon (kurz nachdem Kim Jong-Il damals mit dem Zug durch diesen Bahnhof an der Grenze zu China durchfuhr) dem Erdboden gleich gemacht wurde, wurde mit finanziellen Mitteln der EU und der technischen Leitung der ADRA wieder aufgebaut.

Beispiel Energiewirtschaft: die große Probleme bei der Energieversorgung der Kooperativen versuchte die ADRA zunächst durch den Bau von Biogasanlagen (regenerative Energie!) zu beseitigen. Es stellte sich schließlich heraus, dass die sehr kalten Winter in Nordkorea zur Aufrechterhaltung des Gärungsprozesses zusätzliche Energie erforderlich machten, was über das Jahr gesehen einen Wirkungsgrad von lediglich 5% erbrachte, weshalb die ADRA dann von der Errichtung weiterer Biogasanlagen abriet.

Beispiel Landwirtschaft: zwischen 2002 und 2006 pflanzte die ADRA in der Provinz Nord-Hwanghae (rund um Sariwon) jährlich 25.000(!) Apfelbäume.
In Pyongyang errichtete die ADRA eine Großbäckerei, wo täglich 100.000kg an Brot, hauptsächlich zur Verteilung in den Schulen, produziert werden. Das Mehl dazu kauft die ADRA in China, den Zucker in Thailand und das Milchpulver in der Schweiz.
Die ADRA errichtete im Zentrum Pyongyangs das BYOLMURI-Restaurant, wo auch Pizze angeboten werden. (Die KCNA berichtete groß über dieses Restaurant). Es war das erste Restaurant im Nordkorea, in dem Einheimische und Ausländer nebeneinander und gemeinsam speisen und sich unterhalten konnten!

ad 3: - persönliche Leben und Erlebnisse in Nordkorea:
es war der schwierigste und psychisch belastenste Teil seines Aufenthaltes in Nordkorea.
Alle Mitarbeiter der europ. NGOs, der Botschaften und sonstige mußten im "Diplomatic Compound" im Osten Pyongyangs wohnen. Nur zirka 100 - 120 Ausländer lebten dort und jeder kannte jeden.
Verließen die Europäer ihr Wohnviertel und spazierten oder fuhren durch Pyongyang, folgte im Abstand von 50m ein Koreaner; ein Allein-sein war unmöglich.
Im Büro der ADRA waren bis zu 10 Nordkoreaner beschäftigt, die wurden von Nordkorea zugeteilt, alle Mitarbeiter wurde nach sechs bis neun Monaten durch neue Mitarbeiter zwangsausgetauscht. Dadurch versuchte Nordkorea eine Freundschaft mit den Europäern zu unterbinden, andererseit erschwerte das die Arbeit der NGOs gewaltig, den kaum war ein neuer Mitarbeiter halbwegs eingarbeitet, wurde dieser auch schon wieder augewechselt. Nicht nur die Ausländer wurden überwacht, die Nordkoreaner überwachten sich irgendwie gegenseitig und die Stimmung auch unter den Koreaner im Büro war selten fröhlich, meist sehr gedrückt.
Beispiel Ineffizienz und Chaos:
Die ADRA sollte auf Wunsch der Nordkoreaner ein Krankenhaus und Kindergärten in Pyongyang mit neuen - besser isolierenden Fenstern - ausstatten. Die Finanzierung der Aktion erfolgte durch die EU, aufgrund des enormen Betrages mußte der Auftrag für die Fenster (nach den EU-Regeln) international ausgeschrieben werden, eine chinesische Firma erhielt den Zuschlag (eine nordkoreanische Firma bot die gleichen Fenster um den 4-fachen Preis an!). Die Fenster wurden aus China nach Nordkorea geliefert, Nordkorea verbat den nordkoreanischen Arbeitern den Einbau der (chines.) Fenster in das Krankenhaus und die Kindergärten. Seither verrotten beide (die Fenster und die Gebäude) und die EU war eine Zeit lang wegen des vergeudeten Geldes ziemlich böse. Aber die Nordkoreaner sind dann ziemlich stur.
Beispiel Kirche: Herr Wagner besuchte an Sonntagen des öfteren die christlichen Kirchen in Pyongyang, aber nicht um dort zu beten, sondern um die Möglichkeit wahrzunehmen, um dort zufällig Anwesende Ausländer zu treffen und sich mit diesen zu unterhalten.
Beispiel Landwirtschaft: jeweils am Freitag war der Besuch der betreuten Kooperativen nicht gestattet, weil an Freitagen die städtische Bevölkerung auf den Feldern arbeiten mußte/durfte und es seitens Nordkorea nicht erwünscht war, dass sich die ausländischen NGO-Mitarbeiter mit den Städtern bei deren landwirtschaftlicher Tätigkeit unterhalten konnten ...
und vieles mehr ... war jedenfalls sehr aufschlussreich;

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#5
Danke für den Bericht.
Den hätte ich auch gern gehört.
Gibt es einen Nachdruckt-ein Skript?

Mist-mit den Fenstern-und wie dumm auch -und sinnlos.
Ich baue selber und es tut mir in der Seele weh, wenn Ressourcen verschwendet werden.


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#6
Danke für diesen Bericht, Kuwolsan. Wurde erwähnt, warum damals der Bahnhof explodierte?
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#7
Vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht- Deine Beiträge hier im Forum sind immer besonders wertvoll.
Interessant, was jemand berichtet, der als Ausländer wirklich im Land gelebt hat und teilweise sogar hinter die Kulissen geschaut hat.

Ein wenig erinnert mich das an Berichte in einem sehr lesenswerten Buch:

http://www.amazon.de/Nordkorea-Einblicke...09&sr=1-11

Oha, sehr gerade wie teuer das inzwischen ist-muss wohl ein Sammlerstück geworden sein. Ich sollte meins mal anbieten...
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#8
(19.03.2012, 23:46)Leser schrieb: Oha, sehr gerade wie teuer das inzwischen ist-muss wohl ein Sammlerstück geworden sein. Ich sollte meins mal anbieten...
Oh, irre. Wusste gar nicht, dass ich so teure Bücher hab :-)
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#9
(19.03.2012, 19:42)teardown schrieb: Wurde erwähnt, warum damals der Bahnhof explodierte?
Bei Wikipedia kann man darüber nachlesen.
Sehr interessanter Vortrag....von mir auch ein Dankeschön für den Bericht @Kuwolsan.

Martin

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#10
Hr. Wagner sagte in seinem Vortrag nichts über die möglichen Ursachen der Explosion am Bahnhof in Ryongchon. Er zeigte ein Photo vom Wiederaufbau des Krankenhauses in Ryongchon und erklärte, welche Rolle dabei die EU und die ADRA spielten.
In einem Nachsatz sprach er noch über die Nachwirkungen der Explosion. So bemerkte er die Abnahme der Handybenützer und im ADRA-Büro blieb nur mehr ein (manhchmal zwei) nordkoreanischer Mitarbeiter über, der damals ein Handy verwenden durfte/konnte.

Ein Zuhörer fragte Hr. Wagner zu den Perspektiven für Nordkorea. Hr. Wagner antwortete, dass er sich eine rosigere Zukunft für Nordkorea gut vorstellen kann, was er mit dem früheren Betreuer Kim Jong Uns während dessen Schulzeit in der Schweiz in Verbindung brachte. Denn dieser man war Ri Chol, der frühere nordkoreaniche Botschafter in der Schweiz, den Hr. Wagner öfters traf und den er als praktisch denkenden und an einen die Lebensbedingungen der Nordkoreaner verbessern wollenden Menschen kennenlernte und von dessen Einstellung Kim Jong Un doch etwas abbekommen haben könnte.
Außerdem ist Ri Chol jetzt Vizedirektor des nordkoreanischen Investment und Joint Venture-Kommitees und als Abteilungsdirektor im Führungs-Büro der PdAK tätig, was einen kleinen positiven Impetus für die wirtschaftlich Entwicklung Nordkoreas bedeuten könnte.
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