Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Noch ein Interview. Kindergärten, Privatwirtschaft, Lebensmittel usw.
#2
Tja, dann leg ich wohl mal los Rolleyes

Zitat:Er schreibt, dass er vor einiger Zeit ein Interview mit einem nordkoreanischen Geschäftsmann veröffentlichte habe (nachzulesen an anderer Stelle im Forum). Er habe sich mit ihm in Seoul getroffen, dank Vermittlung eines Landsmann. Er schreibt, dass viele bis zu diesem Interview (so auch er selbst) nicht vermuteten, dass unter dem kommunistischen Mantel seit langer Zeit in Nordkorea ein Kapitalismus existiert und das nahezu die gesamte Bevölkerung des Landes im halboffiziellen Privatsektor tätig sei. Es habe so wenig zur gewöhnlichen Darstellung Nordkoreas gepasst, dass einige Leser die Informationen seines Gesprächspartners anzweifelten. Aber er (der Journalist) glaube ihm und hatte einige Tage nach dem Gespräch mit dem Geschäftsmann die Gelegenheit mit "Li" zu sprechen, einer jungen Frau aus einer anderen Provinzstadt der DPRK, die vor zwei Jahren über China nach Südkorea kam. Sie stammt aus einer angesehenen Famile, der Vater unterrichtet 'Parteidisziplin' an der örtlichen Hochschule, die Mutter ist Hausfrau und sie Pädagogin - und führte eine illegale Zigarettenmanufaktur.

Er fragt sie zu Beginn, ob sie denn Russisch könne. Woraufhin sie antwortet "Здравствуйте, раз, два, три, четыре, да здравствует великий вождь" (für Ex-DDR Schüler mit Russisch lasse ich es im Original, zum Schmunzeln Big Grin) Sie erzählt, dass sie in der Englischklasse gewesen sei. Bei ihr gab es zwei Klassen mit Russisch und zwei mit Englisch. Aber das sei vor langer Zeit gewesen, als sie noch zur Schule ging, in den frühen 90er Jahren. Heute werde fast kein Russisch mehr an den Schulen unterrichtet. So gegen '97-'98 seien die Russischklassen aufgelöst worden und alle würden nun Englisch als Fremdsprache lernen.

Wie viele Schüler sie pro Klasse gewesen sein? Zu jener Zeit ziemlich viele - 40 bis 50 Personen. Jetzt seien es weniger, so 35-40 Schüler.

Ob ihre Mutter gearbeitet habe? Nein, sie sei Hausfrau gewesen, aber öffentlich engagiert. Sie sei die Anführerin einer Gruppe gewesen, in der sich die Hausfrauen in der Umgebung sammelten. Solche Gruppen entstünden nach territorialem Prinzip, immer so 20-40 Familien, wo dann gemeinsam Dinge organisiert oder Ideologieschulungen durchgeführt würden.

Ob sie für ihre Tätigkeit irgendeine Bezahlung o. ä. erhalten habe, will der Journalist wissen. Dies verneint sie und sagt, dass die Anführer solcher Gruppen prinzipiell keinen Lohn erhalten hätten. Und auch bei den Bezugsscheinen erhielt ihre Mutter genauso viel wie alle anderen Hausfrauen. Gegen Anfang der 90er Jahre sei dann diskutiert worden, ob man sie nicht bezahlen solle. Ab 1992 erhielt sie dann 30 Won. Das sei aber sinnfrei gewesen, da das Durchschnittseinkommen bereits 700-1000 Won betragen habe und man sich für die 30 Won nichts habe leisten können.

Und was habe sie dort zum Beispiel machen müssen in ihrer Tätigkeit, will der Russe wissen? Die Nordkoreanerin antwortet, dass beispielsweise morgens die Hausfrauen zu Bauarbeiten gehen sollten und es die Aufgabe der Anführerin gewesen sei dafür zu sorgen, dass die gesamte Gruppe zur Arbeit ginge. Und sie erhielt die Anweisungen, z. B. für Reparaturen so und so viele Personen dorthin zu schicken. Oder für den Straßenbau. Viele wollen aber natürlich nicht gehen. Das ist der am meisten verbreitete Verstoss. Daraufhin muss die Anführerin dies bei der Polizei oder der örtlichen Verwaltung melden. Es ist eine sehr unangenehme Arbeit, weil sie die Beziehung zu den Mitmenschen schädigt. Aber ihre Mutter sei idealistisch gewesen, sie bewunderte Kim Il Sung und Kim Jong-Il, daher strengte sie sich sehr an.

Ob sie sich denn jetzt noch so anstrengen würde? Nein, jetzt bemühe sie sich nicht mehr. Wann das passiert sei, will der Journalist wissen. Die Mutter habe sich 30 Jahre bemüht der Partei beitreten zu dürfen, aber auch nach 35 Jahren wollte man sie nicht aufnehmen. Ihre Schwester setzte sich dann nach China ab und ihre Mutter wurde daraufhin von ihrem Posten entfernt. Das sei für sie eine sehr große Enttäuschung gewesen. Sie habe ihren Enthusiasmus verloren.

Der Journalist lenkt daraufhin das Gespräch auf die Person Li und will wissen, wann sie im Kindergarten gearbeitet habe? Zwischen 2000 und 2005. Ob alle Kinder in den Kindergarten gehen würde? Ja, natürlich, dass sei Teil der Schulpflicht. Was man im Kindergarten lerne? Sprache, Rechnen, Lied und Tanz, Bewegungsspiele. Man unternehme Ausflüge in die Natur und drei Fächer würden unterrichtet: Erzählungen über die Jugend von Kim Il Sung, Erzählungen über die Jugend von Kim Jong Il und Erzählungen über die Jugend von Kim Jong Suk (die Frau Kim Il Sungs). Für jedes Fach gebe es jeweils einen Raum im Kindergarten mit Fotografien und Porträts. Im Zentrum jedes Zimmers ein Modell zum Ort, an dem der jeweilige große Mensch seine Kindheit verbrachte. Jedes der Fächer sei einmal pro Woche unterrichtet worden.

Diese Modelle im Zimmerinneren würden nicht zentral geliefert, sondern von den Erzieherinnen selbst angefertigt. Die Nordkoreanerin erzählt, wie sie alles hergerichtet habe, damit es hübsch aussehe.

Ob die Kinder im Kindergarten eine Mahlzeit erhielten, will der Russe wissen. Die Kinder sollen von zu Hause etwas mitbringen, antwortet Li. Sie hätten versucht eine Mahlzeit zu organisieren, aber es gelang ihnen nur 1-2 mal im Monat - wenn sie Lebensmittel gestellt bekamen. Gab es keine, habe man nichts tun können. Als sie selbst in den 80ern in den Kindergarten gegangen sei, habe man sie dort versorgt. Als sie Erzieherin geworden war, sei dies aber bereits nicht mehr so gewesen.

Was die Kinder von zu Hause mitgebracht hätten an Essen, ob das sehr unterschiedlich gewesen sei? Ja, sehr unterschiedlich betont die Erzieherin. Es habe Kinder gegeben, die gar nichts mitbrachten. Die sandte sie heim. "Geh nach Hause, iss etwas". Aber auch mit den übrigen Kindern habe es Probleme gegeben. Einige brachten nur gekochten Mais mit - andere hatten sogar Fleisch dabei. Und alle sahen es natürlich. Die Kinder gruppierten sich selbständig nach dem Wohlstand der Eltern. Ernsthafte Konflike habe sie nicht bemerkt. Sie seien noch sehr klein. Solche Konflikte kämen erst mit der Grundschule oder besonders in der Mittelschule auf.

Welche Kinder zählten zu den Reichen? Allen voran jene der Beamten, der lokalen Verwaltung. Sie unterschieden sich durch die Kleidung und es war zu bemerken, dass die Lehrer ihnen besondere Aufmerksamkeit schenkten.

Ob die Eltern den Lehrern denn in der Schule und im Kindergarten Geld zustecken würden, will der Journalist wissen. Ja natürlich. Ohne dies hätte sie nicht selbständig ohne Hilfe der Eltern überleben können. Die Bezahlung liege bei ca. 2000 Won / Monat. Dies sei der Preis von etwa einem kg Reis auf dem Markt. Einige der Eltern gaben Geld, aber meist brachten sie uns andere Dinge: Kleidung, Gemüse aus eigenem Anbau und natürlich Lebensmittel: Reis, Mais und wenn jemand keine Uhr hatte, dann eine Uhr. Oder wenn man eine Sehschwäche hatte und keine Brille bekam, halfen sie.

Sie erzählt weiter, dass durch diesen direkten Kontakt einfache Erzieher und Lehrer manchmal mehr verdienten als der Direktor einer Schule. Allerdings würden die noch auf andere Weise ihren Verdient aufbessern können, beispielsweise wenn der Vorsitzende einer Kolchose anrufe und darum bitte, Schüler auf die Felder zur Arbeit zu senden. Und der Direktor entsendet die Kinder, woraufhin er zum Dank Geld oder Lebensmittel erhält.

Wie viele Tage die Kinder auf den Feldern arbeiten würden, fragt der Journalist nach? Im Herbst praktisch jeden Tag gegen Ende der 90er Jahre. Sie hätten eine 6-Tage Arbeitswoche gehabt und im Herbst sei praktisch nicht gelernt worden. Sogar an Wochenende habe man gearbeitet. Zwei Wochenenden im Monat seien frei gewesen. Und man habe wirklich den ganzen Tag gearbeitet. Die Lerninhalte hätten dann selbst erlernt werden müssen, sie hätten Hausaufgaben gegeben und gesagt "lernt dies, dies und dies". Dies sei Ende 90er und Anfang 2000er Jahre so gewesen. Im Frühling sei man zur Aussaat von Reis gesandt worden, im Herbst zur Maisernte, Reiseernte, Gemüseernte. Die älteren Klassen seien praktisch unbezahlte Erntearbeiter gewesen. Man habe ab der dritten Klasse begonnen und je älter, desto mehr sei gearbeitet worden.

Und die Studenten, will der Russe wissen. Die natürlich auch, ebenso wie Soldaten. In den Universitäten sei das immerhin offiziell. Im Frühling und im Herbst sei ein freier Monat im Lehrplan für Reissaat (Frühling) und Reisernte / Maisernte (Herbst) eingeplant.

Ob nur Kolchosen Schüler anfordern würden, fragt der Russe. Oder ob auch der Direktor eines Werkes anrufen könne und um Hilfe zur Planerfüllung bitte?

Nein, wie denn Studenten in den Werken hätten helfen sollen? fragt Li. Außerdem, als sie in den 90ern Studentin gewesen sei, seien die Werke schon stillgelegt gewesen.

Der Journalist lenkt das Gespräch nun auf den Vater über. Was dieser denn an der Hochschule lehre? "Geschichte der Revolution des großen Führers Genosse Kim Il Sung" und "Geschichte der Aggression des amerikanischen und japanischen Imperialismus gegen Korea". Unter Kim Il Sung sei diese Position ihres Vaters eine gute, respektierte gewesen. Ebenso wie z. b. Arzt, Parteigenosse oder Mitglied der Sicherheitsorgane. Außerdem sei es in der Zeit am besten gewesen zu den Leuten des "Paek-Tu-San" (richtig transkribiert?) zu zählen - also zu jenen mit Verbindugen zur Partisanenbewegung. Also die Familien und Nachkommen jener, die beim Widerstand teilnahmen. Nicht nur die Mitstreiter, sondern auch ihre Kinder und Enkel seien priviligiert gewesen, hätten auf gute Hochschulen gehen und Ämter erreichen können.

Dann sei das Bezugsscheinsystem zusammengebrochen, Kim Il Sung verstorben und es begann die Epoche Kim Jong Ils. Ab etwa 1996 hätten die Leute zu hungern und zu sterben begonnen, erzählt Li. Ab dann lebten Leute mit Verwandten im Ausland, besonders aus Japan, gut. Da die alten Priviligierten Paek-Tu-San bezeichnet wurden, nannte man die neuen Priviligerten "Fujijamas". Danach begann die Zeit der "Jongmansan" (die Berge in denen die Universität Kim Il Sung steht und wo Kim Jong Il lernte), ehemalige Schulkameraden von Kim Jong Il und überhaupt Absolventen dieser Universität. Bei ihr zu Hause in den nördlichen Regionen zudem noch jene, die Verwandtschaft in China besaßen und die Geld sandten. Und dann gab es noch die Leute, wie sie selbst, die nach Südkorea gingen und ihren Verwandten von dort aus halfen. Aber von denen gebe es wenig.

Der Russe hakt nach und fragt, welche Stimmung denn so allgemein an der Universität herrsche - Nostalgie nach der Zeit von Kim Il Sung oder eher eine kritische Stimmung gegenüber der Staatsführung? Allgemein wünsche man sich Veränderung. Es kommt vor, dass man den Zeiten Kim Il Sungs hinterhertrauert, aber gleichzeitig wolle man auch nicht wieder zurück.

Ob man über Politik diskutiere und über die Machthaber, fragt der Journalist. Unter Kim Il Sung sei das absolut sinnlos gewesen, überhaupt über Politik zu reden. Jetzt diskutiere man ein klein wenig darüber, aber mit großer Vorsicht. Ihr Vater habe zu Hause immer gesagt, Kim Jong Il sei kein Vergleich zu Kim Il Sung! Ihre Mutter bremste ihn dann und sagte "Du zeigst den Kindern gegenüber ein schlechtes Verhalten, bringst ihnen gefährliche Dinge bei". Als sie Jugendliche gewesen sei, habe sie ihren Vater ganz offen gefragt: "Nun, wer ist besser, Kim Il Sung oder Kim Jong Il?". Er sagte darauf: "Der Vergleich ist lustig. Kim Il Sung natürlich". Die Mehrheit erinnere sich Kim Il Sungs mit Achtung und Respekt, die Beziehung zu Kim Jong Il sei hingegen wesentlich schlechter.

Ob man auch darüber diskutiere, dass die Errichtung des Landes ein Fehler gewesen sei? Es komme jetzt vor, dass man darüber spreche. Und sogar ausspreche, dass der Sozialismus ein Fehler sei.

Wie denn heute Studenten auf ihren Vater blicken würden, einem Lehrer für Ideologische Disziplin, will der Russe wissen. In der UdSSR habe man solche Leute gegen Ende einfach nicht mehr Ernst genommen. Ja, so sei es in Nordkorea auch, sagt Li.

Was der Vater darüber denken würde, fragt der Journalist. Das sei schwer zu sagen, meint die Nordkoreanerin. Sie habe darüber nicht viel mit ihm gesprochen. Er habe sein ganzes Leben der Sache gewidmet, es sei schwer danach zu sagen "Ich habe das ganze Leben den Studenten und Kindern die Unwahrheit erzählt". Das sei ein psychologisches Trauma.

Halbzeit. Der Rest kommt morgen.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Noch ein Interview. Kindergärten, Privatwirtschaft, Lebensmittel usw. - von Balkonskij - 29.02.2012, 21:08

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 2 Gast/Gäste