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Über essenstuben, Schwarzmärkte, Goldminen, Geschäfte und Bestechungen
#10
Nachfolgend eine Zusammenfassung von mir. Mir fehlt die Zeit (und Lust) auf eine 1:1 Übersetzung, die den Namen verdient. Ich fasse also - nach bestem Wissen und Gewissen! - den Inhalt des Gesprächs zusammen.

Zitat:Der russische Autor schreibt, dass man es als Journalist zunächst ganz großartig findet nach Nordkorea zu reisen, dann dort aber auf der Autobustour feststellt, dass es null Infos gibt wie es wirklich im Land aussieht und das die Nordkoreaner nicht darüber reden wollen und meist ganz schnell auf ein anderes Thema überlenken. Wenn man lange, offen und ehrlich mit Nordkoreanern reden wolle, dann müsse man nach Südkorea fahren. (wobei, so merkt er an, sie sich auch dann nicht beim ersten Mal öffnen werden) Dank eines russischen Landsmannes, der in Seoul lebt (und den Kontakt herstellte) kam das Interview zustande.

Der Nordkoreaner besitzt seit 2003 ein Geschäft in Seoul, angefangen hat alles mit einem kleinen Lokal in der Heimat. Auf die Frage warum er sein Geschäft eröffnete, antwortet er "um meine Familie zu ernähren". Der russische Autor ergänzt, dass in der DPRK die Bezugsscheine im Gegensatz zu anderen sozialistischen Ländern nicht nur in schweren Zeiten in Umlauf waren, sondern über Jahrzehnte die Norm darstellten und praktisch alle Produkte und Waren über Bezugsscheine verteilt wurden.

Auf die Frage des Journalisten, ob man im Jahr 2003 von Bezugsscheinen leben konnte, verneint der Nordkoreaner dies und meint, damals habe seine Frau den Lebensunterhalt erwirtschaftet, indem sie seit 1998 auf dem Markt handelte. (Kleidung, Schuhe, Tabak, Unterwäsche ..) Auf Rückfrage bestätigt er, dass dieser Markt legal sei (nix Schwarzmarkt) und das es diese "Bauernmärkte" (kann man das so auf Deutsch sagen!?) schon immer gegeben habe. Allerdings sei seit 1994 das Handelsvolumen enorm angewachsen, praktisch jeder kaufe nun dort seine Sachen und handle.

Der Russe hakt nach und fragt, ob man die dort gehandelten Dinge denn auch in einem staatlichen Geschäft hätte bekommen können, was der Nordkoreaner verneint.

Danach befragt ihn der Journalist, was er denn damals gearbeitet habe. Der Nordkoreaner erklärt, er habe beim Innenministerium gearbeitet, aber sein "offizieller Verdienst" (O-Ton) von 3000 Won / Monat (ca. 2-3 Dollar) sei zu wenig gewesen zum Leben. Wobei er Bezugsscheine erhalten habe, für die man auch tatsächlich was bekommen hat (z. B. Hühnchenfleisch oder Reis) - und fügt hinzu, dass man hingegen für die Bezugsscheine in den Fabriken nichts mehr bekommt, schon damals in den 90ern.

Für ihn war es problematisch aus der Arbeit herauszukommen, denn das sei bis zum Alter von 60 Jahren nicht vorgesehen. Sogar die Arbeit zu wechseln sei fast unmöglich. Frauen hingegen hätten das Recht als Hausfrau zu Hause zu bleiben. Er hat sich dann von einem befreundeten Arzt untauglich schreiben lassen. Diese Bescheinigung zu erhalten kostet normalerweise 50000-80000 Won, wenn man keine Beziehungen hat. Alternativ kann man auch mit seinen Vorgesetzten auf der Arbeit einen Deal eingehen (er nennt Summen von 5000-10000 Won) die man seinem Vorgesetzten z. B. in der Fabrik dafür zahlt, dass man nicht zur Arbeit erscheinen muss und stattdessen dann woanders (z. B. Markt) arbeiten kann.

1994 sei die Staatswirtschaft zusammengebrochen und sehr viele Betriebe hätten die Arbeit eingestellt. Zurückgeblieben seien die leeren Gebäude. Es sei möglich gewesen, mit der Stadtverwaltung auszuhandeln, diese Gebäude gegen Bezahlung nutzen zu dürfen. Das habe er getan und in einer Gaststätte (die wegen Versorgungsproblemen geschlossen hatte) eröffnete er sein Lokal. 1994 war das. Ungefähr 200-300 Kunden habe er am Tag gehabt, was er der Lage nahe am Bahnhof verdankte. Einfaches Essen habe er angeboten - gekochter Reis, Nudeln usw. die Lebensmittel hierfür habe er alle vom Markt. Die angebotenen Spirituosen seien alle Selbstgebrannte gewesen. Illegal sei das gewesen, aber es habe keine Probleme gegeben. Fast 100% des Alkohols in Nordkorea sei Selbstgebrannter, fügt er hinzu.

Wieviel das Essen bei ihm gekostet habe, fragt der russische Journalist? So ungefähr 1500 Won. Daraufhin fragt der Russe wie man sich das denn bei einem Gehalt von 2000-3000 Won leisten könne, woraufhin der Nordkoreaner meint, dass seit 15 Jahren in Nordkorea niemand mehr Gehälter und Löhne des Staates Ernst nehme, das sei nur noch eine Formalie.

Daraufhin fragt der Journalist, ob dies bedeutet, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der privaten Schattenwirtschaft tätig sei? Der Nordkoreaner antwortet zustimmend, die absolute Mehrheit sei das. Die Leute hätten begonnen, sich selbst zu ernähren. Seit 1994 nehme niemand die staatlichen Preise und Löhne mehr Ernst.

Ob denn sein Lokal offen für alle gewesen sei, will der Russe wissen. Ja, offen für alle.

Daraufhin will der Russe wissen, wie das denn nun gewesen sei - war es erlaubt privat eine Gaststätte zu führen? Gab es keine Probleme mit dem Staat?

Er hatte eine Lizenz und damit die Erlaubnis für seine Tätigkeit erhalten, entgegnet der Nordkoreaner. Das sei gegen Ende der 90er möglich gewesen, bei ihm so um 1997 rum. Rein äußerlich war das immer noch ein Staatsbetrieb (sogar das alte Schild hing noch), in Wirklichkeit sei er aber mehr ein Privatunternehmer unter Kontrolle der lokalen Verwaltung gewesen. Quasi ein Franchise des Staates.

Dies bedeute, fragt der Journalist, dass Parteigenossen, Polizisten, Geheimdienstmitarbeiter auch zu ihm zum Essen kamen? - Ja. Keine Probleme.

Sei es nötig gewesen, das Porträt des großen Führers im Lokal aufzuhängen, will der Russe wissen. Der Nordkoreaner verneint dies. Und selbst früher (zu Zeiten des Staatsbetriebs) sei keines da gewesen. Nach einer alten Verordnung von 1972 seien in den Produktionsräumen keine Porträts aufzuhängen und die Gaststätte wurde zu den Produktionsräumen gerechnet.

Und was er nach seiner Zeit als Gaststättenbesitzer gemacht habe, fragt ihn der Journalist, woraufhin der Nordkoreaner antwortet, er habe eine Grube besessen. Wie denn eine ganze Grube einer Einzelperson gehören könne, fragt der Russe. Darauf antwortet Mr. Selfmade Millionär, dass sie formell immer noch eine Grube im staatlichen Besitz gewesen sei, er sie aber quasi gemietet habe. Sie sei der 38. Verwaltung des ZK der Partei (k.a. ob das so 100% stimmt, 1:1 aus Russisch "38 управлению ЦК Партии" ) untergeordnet gewesen, die unter anderem die Devisenwirtschaft verwaltet. Der Staat habe keine Mittel für den Betrieb der Gruben gehabt, also habe man private Interessenten gesucht. 60% der Einkünfte seien an den Staat, also jene Verwaltung, gegangen.

Wo denn diese Übereinkunft zur Grube vereinbart worden sei, will der Journalist wissen, woraufhin der Nordkoreaner jene Verwaltung in Pjönjang anführt. Solche Geschäfte könne man nur in Pjönjang abschliessen. (er erzählt außerdem, dass er 2000 Dollar Schmiergeld zahlen musste)

Ob er denn einfach so nach Pjönjang hätte fahren können? Ohne Erlaubnis? Jaja, wenn man Geld habe, könne man die Erlaubnis erhalten, hat man keines - keine Erlaubnis.

Er erzählt dann weiter, dass er 38 Angestellte in der Grube gehabt habe, die er selbst ausgewählt und bezahlt habe. Sie hätten ungefähr 30.000 Won bei ihm verdient pro Monat. Weiter berichtet er, dass die Grube noch gar nicht bestand und das sie erst in die Erde getrieben wurde von ihm. Nebenan sei eine alte Grube gewesen und der Staat habe von der Existenz von Gold im Boden gewusst, aber er habe keine Mittel für die Erschließung gehabt. Das Gold habe er dann chinesischen Händlern verkauft. In der 38. Verwaltung habe man gewusst, wieviel er in etwa schürfen könne und ihm dann gesagt, wieviel er abzugeben habe.



So, jetzt habe ich die Hälfte durch und gehe schlafen. Es ist anstrengender als man denkt zu übersetzen. Morgen gibt es den Rest.
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RE: Über essenstuben, Schwarzmärkte, Goldminen, Geschäfte und Bestechungen - von Balkonskij - 22.02.2012, 21:55

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