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Über essenstuben, Schwarzmärkte, Goldminen, Geschäfte und Bestechungen
#21
Erst einmal ein herzliches Dankeschoen Smile

Sehr interessant zu lesen. Im Endeffekt bestaetigt mich der Text in meiner Meinung, dass ein Sozialismus in der Form wie er gerade in Nordkorea praktiziert wird auf Dauer nicht durchzuhalten ist, und dass der Staat wie damals in China und Kuba versteckt einige wirtschaftliche Freiheiten zugesteht. Nur so verhindert man auch den wirtschaftlichen Zusammenbruch.
Und man sieht es auch hier. Geld regiert die Welt. Das kann man sicherlich verteufeln, aber wenn es eben ums Geld ist sich nahezu jeder selbst der naechte. Hohe Funktionaere in Norkorea miteingeschlossen.
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#22
Vielen Dank für die netten Worte. Das lässt die Mühe erträglicher erscheinen. Hier der dritte und letzte Teil:

Zitat:Wie es mit der Stromversorgung aussehe, will der Russe wissen. Etwa drei Stunden am Tag gebe es insgesamt Elektrizität. In Zeiträumen von je 30-40 Minuten. Einen festen Plan gebe es nicht, so wie es sich ergebe, so werde Strom geliefert.

Und was machen die Nordkoreaner mit ihren Elektrogeräten, Kühlschränken, Fernsehern? Dafür benutze man Akkumulatoren und Batterien. Aber die seien schädlich für Kühlschränke und Waschmaschinen. Für Licht, Fernseher und Video jedoch geeignet. Sobald es Elektrizität gibt, beginnt das ganze Land unverzüglich die Akkus aufzuladen. Einen Kühlschrank zu besitzen gelte als prestigereich, obwohl er häufig nur als Schrank benutzt werde.

Ob er denn ein eigenes Auto besessen habe, fragt der Journalist. Autos in Privatbesitz gebe es wenige, antwortet der Nordkoreaner. Nur hohe Beamte besitzen Autos. Und Leute, die sie durch Verwandte in Japan oder China erhielten. Oder natürlich als "Geschenk des Führers".

Dies bedeute also, merkt der Russe an, dass sogar er als Geschäftsmann mit hohem Verdienst kein eigenes Auto besessen habe? Er habe schon ein Auto besessen, allerdings sei das auf die Grube registriert gewesen, obgleich es de-facto sein privates war. Das sei übliche Praxis, private Automobile werden immer auf die Firma registriert. In seiner Heimatstadt gebe es etwa 20 Autos in Privatbesitz und von ihnen seien nur 3 auf Personen registriert.

Das bedeute einen Automobilmarkt gebe es nicht? Nein, so einen gebe es nicht. PKW gebe es noch wenige. In letzter Zeit kämen viele Gebrauchtwagen aus Japan, die überführt und in China weiterverkauft würden. Vom Verdienst würden dann in China LKW für die privaten Transportdienste in Nordkorea gekauft. Der Hintergrund ist, dass China strenge Bestimmungen für die Einfuhr von gebrauchten Autos aus Japan hat und man sie über Nordkorea günstiger einführen kann.

Der Journalist fragt nach der Wohnsituation. Angenommen man beginne gutes Geld zu verdienen und möchte seine Wohnsituation verbessern - umziehen und eine Wohnung oder ein Haus kaufen. Oder etwas bauen. Aber alle Wohnungen gehören dem Staat, der sie zuteilt. Wie das ablaufe, will er wissen.

Der Nordkoreaner antwortet, dass praktisch 100% der Wohnungen Staatseigentum sei und Privatbesitz gebe es nicht. Aber angenommen, ein Veteran der Arbeit würde ein Haus oder eine Wohnung erhalten. Dieser Veteran der Arbeit würde sie (ungesetzlich) einfach weiterverkaufen und in die schlechtere Wohnung des Käufers ziehen, aber dafür zusätzliches Geld erhalten. So ein Tausch innerhalb der Stadt oder des Bezirks sei möglich. Auch wenn in Wirklichkeit dabei eigentlich ge- und verkauft werde.

Wer in besseren Verhältnissen leben möchte, der könne jetzt sogar ein kleines eigenes Haus mit mehreren Wohnungen bauen. Leute begannen sogar damit Häuser zu bauen, um sie zu verkaufen. Offiziell wird das formell natürlich eine staatliche Baustelle, aber gebaut wird mit den Geldern von privaten Interessenten., die dann dort leben oder es verkaufen. So läuft das in den größeren Städten. Und in den kleineren Städten baut man sich selbst sein Haus. Man reißt das alte Haus ein, schafft es weg und baut am gleichen Ort ein neues Haus. Das nennt man dann "Renovierung".

Der Russe kommt auf die Zukunft zu sprechen. Ob denn im Volk über eine mögliche Vereinigung mit Südkorea gesprochen werde, fragt er. Und ob man sich dadurch Hoffnungen auf verbesserte Lebensbedingungen mache? Ganz allgemein, so der Nordkoreaner, würden das alle denken. Man spreche darüber, dass man selbst die Naturschätze habe - und der Süden die Technologie, sie auszubeuten. Wenn man sich vereinen würde, dann würde man besser leben. Der Mehrheit im Norden wünsche sich die Wiedervereinigung.

Und was die Leute von der jetzigen Führung des Landes hielten, will der Russe wissen. Darüber rede man nicht, antwortet der Nordkoreaner. Das sei gefährlich. Und ergebe gar keinen Sinn. Die Leute beschäftigen sich mit ihrem Geschäft und ziehen es vor, über politische Themen nicht zu reden. Allerdings ist allen gemein, dass man die Meldungen in den Zeitungen nicht glaube. Weil allen bewusst sei, dass die Mächtigen früher gelogen haben und auch heute lügen.

Ob denn die Leute nicht nach Reformen fordern würden oder nach einem Wechsel an der Staatsspitze? Nein, solche Ideen gebe es nicht, meint der Nordkoreaner. Praktisch alle Leute, denen es in Nordkorea besser gehe, seien mit der politischen Elite verbunden und hätten daher Interesse am Erhalt des Systems.

Die Leute würden also verstehen, dass ihr Geschäft bei einer Vereinigung zwischen Nord- und Südkorea den Bach runter gehen würde? Ja, das verstünden sie. Ob's denn nicht gleich besser sei, in einem 'normalen' Kapitalismus zu arbeiten als in einem Kapitalismus im Verborgenen?

Das könne sein, allgemein missbillige der nordkoreanische Staat die Entwicklung der Privatwirtschaft. Aber er muss das aushalten, weil er versteht, dass er nicht zum alten System zurückkehren kann und das alte Bezugsscheinsystem nicht wieder einführbar ist. Obwohl er das sehr gerne wollte! Daher muss man den Markt gewähren lassen, denn sonst beginne das Volk wieder zu sterben, wie in den 90ern. Er zweifle aber nicht daran, dass man die Märkte sofort liquidieren würde, sobald es dem Staat gelinge, die alte Staatswirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Aber, wendet der Russe ein, selbst die Staatsbeamten würden doch an diesen Märkten gut verdienen. Wieso sollten sie sich das eigene Einkommen zerstören? Darauf entgegen der Geschäftsmann, dass wenn dieser Entschluss von ganz oben komme, dann könnten die mittleren und kleinen Beamten (die der Markt füttert) nichts machen. Sie erhalten den Befehl vorzugehen und werden ihn ausführen. Auch die obere Schicht verdiene natürlich an den Geschäften, aber in dieser Schicht halte man den Markt für gefährlich für das System - und das System, das sind sie. Man zieht es vor, seine Macht zu festigen. Aber die Bedingung für die Vernichtung des Marktes ist die vollumfängliche Wiederherstellung der Staatswirtschaft und des Bezugscheinsystems. Und das ist, kurzfristig, unmöglich.

Ob es denn in der Bevölkerung Menschen gebe, die sich eine Rückkehr zum Bezugsscheinsystem Kim Il Sung'scher Prägung wünschen, fragt der Journalist. Zu Beginn seien viele dafür gewesen, in letzter Zeit hätten sich die Menschen aber an die neuen Umstände gewöhnt und es scheint ihnen, dass es so nun besser ist.

Wie es denn nun mit dem nordkoreanischen Volk weitergehe, fragt der Russe nach. Der Nordkoreaner führt aus, dass das Volk zunächst einmal Politik nicht interessiere. Ebenso wenig ein Regimewechsel. Die Wahrscheinlichkeit für eine Revolution halte er für sehr gering.

Ob es denn auch in den Führungsebenen des Staates Sympathisanten von Reformen und Kapitalismus gebe, fragt der Journalist abschliessend. Ja, die gäbe es natürlich. Ob dies nicht zu Reformen chinesischer Art führen könnte? Der Nordkoreaner erklärt, dass die Bevölkerung natürlich mit Neid auf China blicke. Und grundsätzlich, sofern sich jemand für Politik überhaupt interessiere, dann denke er, dass man es so machen müsse, wie in China. Es gibt Leute, die so denken und diese Leute befinden sich in der Führungsebene. Aber es herrsche die Meinung vor, dass eine Übertragung des chinesischen Experiments gefährlich sei und die Stabilität bedrohe. Er denke, dass die neue Führung den jetzigen Kurs mit leichten Variationen fortführen werde. Er rechne mit keinen radikalen Veränderungen in den nächsten 20 Jahren. Und was danach komme, sei unbekannt.
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#23
Vielen Dank für Deine Mühe und die Zeit und überhaupt.
Es war unheimlich gut zu lesen. Handwerklich auch sehr sauber.
Auf die Übersetzung würde ich einen oder mehrere Wodka mit Dir trinken- auch wenn ich an sich starke Getränke nicht so mag.




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#24
Auch ich möchte mein Haupt verneigen und Danke sagen!!
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#25
Und was sagt Juche?
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#26
Wie gesagt, die Übersetzung ist (wie immer) mit Vorsicht zu genießen, aber trotzdem danke!
Vielleicht könnte man beim Forentreffen eine Runde ausgeben, ist das nen guter Vorschlag?
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#27
Wirfst Du vor dem Forumstreffen Weiße Taube noch raus - zusammen mit Dprk? Oder hältst Du andere Meinungen und Sichtweisen aus?
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#28
(24.02.2012, 20:49)markant schrieb: Vielen Dank für Deine Mühe und die Zeit und überhaupt.
Es war unheimlich gut zu lesen. Handwerklich auch sehr sauber.
...

Danke, aber das Kompliment gebe ich in aller Demut zurück. Wer einmal professionellen Übersetzern über die Schulter gesehen hat, der weiß, dass "übersetzen" nicht "übersetzen" ist. Ich kann (und will) nicht deren handwerklichen Standard leisten, der leider viel zu selten wertgeschätzt wird. (für gewöhnlich wird nur über die Preise geschimpft; Nein, weder ich noch nahe Verwandte sind Übersetzer)


Was mich bei diesem Gespräch bewegte, war wie viele Überschneidungen es zwischen dem heutigen Nordkorea und der Perestroika bzw. den frühen 90er Jahren in der Russischen Förderation gibt. Ehemalige DDR-Bürgern fühlen vielleicht genauso. Da sind mir die Nordkoreaner ein Stück näher gerückt. Mir sind da viele Erzählungen und Erlebnisse wieder hochgekommen, die ich damals nicht oder unbewusst mitbekommen habe. Gerade was die Umgehung von Mängeln und Beschränkungen angeht und wie man sich das Leben trotz der Situation irgendwie "einrichtet", das Beste daraus macht. Manchmal frage ich mich auch, ob wir Menschen aus den ehemaligen sozialistischen Staaten eine andere Wahrnehmung solcher Situationen entwickelt haben. Juche z. B. (ich hoffe, ich trete ihm nicht zu nahe) sieht diese Bestechung von Beamten sicher als moralisch verwerflich an, kann ich mir vorstellen. Oder der private, heimliche Anbau von Gemüse. Und das ist es objektiv vermutlich auch. Ich sehe darin den Wunsch eines Volkes, sich trotz aller Umstände irgendwie sein kleines bißchen normales Leben zu ermöglichen. Ein Baum, der um ein Hindernis herumwächst. Das lässt sich schwer in Worte fassen. Schätze entweder man fühlt genauso oder nicht. Andere Mentalität.
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#29
Ich schließe mich den allgemeinen Danksagungen an. Eine Arbeit, die ich zumindest garnicht richtig einschätzen kann. Klasse.

Sehr interessante Passagen, die wirklich etwas an die DDR erinnern.
Ich bin jetzt noch mehr auf die weitere Entwicklung in nächster und vor allem fernerer Zeit gespannt.

Gruß
Gorbatz
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#30
(24.02.2012, 22:10)Gorbatz schrieb: Ich bin jetzt noch mehr auf die weitere Entwicklung in nächster und vor allem fernerer Zeit gespannt.
Das Aktuelle ein bißchen aufzunehmen wäre auch schon was. Wobei ich natürlich auch gespannt bin :-)
Kuwolsan hat schon einen wichtigen kompetenten Hinweis zur zeitlichen Einordnung von dem Ganzen gegeben; unabhängig von der grundsätzlichen Frage der Glaubwürdigkeit der Details.


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